Wenn das eigene Kind oder der Partner an Magersucht erkrankt, ist der natürlichste Instinkt der Welt, rasch helfen zu wollen. Man kann ja nicht tatenlos zusehen, wie sich seine Liebste (und zunehmend häufig auch sein Liebster) sichtbar zum Skelett runterhungert. Aber leider kann das, was man dann als Eltern oder Freund am meisten will, nämlich fürsorglich in die Arme nehmen und aktiv mithelfen beim Gegensteuern, mitunter genau das Gegenteil auslösen.
Achtung, in eigener Sache
Bevor dieser Beitrag, der im Jahre 2013 verfasst wurde, fortgeführt wird, ein Einschub: Wie Sie am unten stehenden Kommentar eines betroffenen Vaters vom 21. September 2017 sehen können, hat sich die von uns in unserem Beitrag vertretene ärztliche Sicht in den letzten Jahren geändert. Zumindest bei einem Teil der Experten.
Was Herr Wahl unten schreibt, ist fachlich richtig und gut begründet. Insofern ist sein Kommentar eine wichtige und wertvolle Ergänzung bzw. Korrektur.
Wir haben uns aber entschieden, unseren Originalbeitrag im folgenden stehen zu lassen, weil er aus unserer Sicht einige wichtige Gedanken enthält. So bleiben wir dabei, dass starker familiärer Druck ("Bitte iss doch") ohne begleitendes Therapeuten-Konzept kontraproduktiv ist. Wir möchten Sie aber bitten, unbedingt auch den unten stehenden Kommentar zu lesen, um ein vollständiges Bild zu erhalten. Und weil Herr Wahl mit einigen Punkten absolut Recht hat.
Und nun geht der Beitrag weiter:
Druck von außen erzeugt eher Gegendruck
Um das zu verstehen, muss man sich tiefer in das hineinversetzen, was eine Magersucht oder Bulimie überhaupt auslöst. Der Wunsch abzunehmen, ist ja eine Art Zwang. Wer Magersucht hat, empfindet seinen Körper ständig als zu dick. Auch dann noch, wenn man schon untergewichtig ist. Wenn man mal wieder versehentlich ein paar Gramm zugenommen hat, hasst man seinen Körper dafür. Und die auslösenden Mahlzeiten sowieso. Am liebsten würden viele Betroffene aus seinem Körper herauskrabbeln, um unabhängig von ihm zu sein und nicht mehr seinen (fetten) Launen ausgeliefert zu sein.
Wenn dann die Mama oder der Papa oder auch der Freund kommen und in ihrer Liebe und Sorge zum Essen bewegen wollen, kann das nicht einfach so funktionieren. Menschen mit Magersucht ertragen ja mitunter nicht einmal eine intensivere Umarmung, geschweige denn den sanften bis intensiveren Druck, nun mal endlich vernünftig zu essen. Im Gegenteil: Die meisten Betroffenen mit einer Essstörung reagieren auf eine übertriebene Fürsorge eher mit noch mehr Rückzug. Sowohl emotional als auch körperlich.
Präsenz, Liebe und Vertrauen, aber keine Bevormundung
Diesen Teufelskreis durchbrechen kann tatsächlich am ehesten ein Therapeut. Zum einen, weil er darin geschult ist, zum anderen aber auch, weil er "neutral" ist und keine emotional angemessene Reaktion einfordert ("ich will Dir doch nur helfen, wieso machst du nicht ein wenig mit?"). Man muss sich dabei auch immer wieder klar machen, dass Magersucht eine ernste Krankheit ist und kein Pubertätsproblem, dass man mal so eben mit ein bisschen gutem Willen beseitigt. Umso eher professionelle Hilfe hinzugezogen wird, umso besser.
Das ist gerade für Eltern enorm schwer. Denn zu der Sorge um das Kind kommt dann auch noch dessen schroffe Zurückweisung der gut gemeinten Hilfsangebote hinzu. Aber Tatsache ist: Am besten helfen Sie Ihrem Kind (oder Partner) mit "da sein, präsent sein, solidarisch sein, aber ohne sich aufzudrängen". Und mit Vertrauen. Vertrauen in dem Sinne, dass man an sein Kind glaubt und dass man es liebt. Auch wenn man dafür über längere Zeit nur wenig zurückbekommt ("Ja, Ihr seid eine tolle Hilfe und ich liebe Euch doch auch"), kommt doch viel davon beim Gegenüber an.