Tysabri® enthält den Wirkstoff Natalizumab. Das Medikament ist zugelassen zur Behandlung der schubförmig verlaufenden Multiplen Sklerose (MS) – allerdings nur, wenn es unter der üblichen Basistherapie (z.B. mit Interferon oder Glatiramerazetat/Copaxone®) zu einer deutlichen Verschlechterung kommt oder die MS insgesamt sehr schwer verläuft. Tysabri ist seit 2006 auf dem Markt.
Kritische Bewertung
Unsere Zusammenfassung basiert auf einer Bewertung des „Arzneitelegramms“, einer der wenigen pharmakritischen Arzt-Fachzeitschriften in Deutschland.
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Wirkmechanismus von Tysabri®
Natalizumab ist ein monoklonaler Antikörper. Er bindet und blockiert bestimmte Moleküle auf der Zelloberfläche von weißen Blutkörperchen. Diese Moleküle (sogenannte Integrine) sind für die Kommunikation und Wanderbewegungen der Blutzellen wichtig. Dadurch können die weißen Blutkörperchen nicht mehr so gut in Entzündungsherde einwandern. Wie bei allen anderen MS-Medikamenten auch handelt es sich bei Tysabri® also um einen Entzündungshemmer.
Die Hemmung der weißen Blutkörperchen, die ja im Körper auch als eine Art Polizei fungieren, ist dabei Fluch und Segen zugleich: Entzündungsreize werden unterdrückt, zugleich nimmt aber auch die Widerstandskraft gegen Infekte und bösartige Entartungen ab.
Dosierung von Tysabri®
Tysabri® wird als Infusion verabreicht, und zwar alle vier Wochen. Die Infusion dauert etwa eine Stunde.
Wirksamkeit von Tysabri® im Vergleich zu Plazebo
In der Zulassungsstudie wurde Tysabri® bei Patienten mit schwerem MS-Verlauf (hohe Schubrate trotz vorheriger Basistherapie mit anderen MS-Medikamenten) mit einem Scheinmedikament verglichen. Tysabri® senkte die Schubrate im ersten Jahr signifikant (81% unter Plazebo, 26% unter Natalizumab). Auch bei der Messgröße "Zunahme von Behinderungen nach zwei Jahren" schnitt Tysabri® besser ab (17% vs. 29% unter Plazebo).
Bei mild verlaufender MS hat Natalizumab dagegen offenbar keinen Nutzen.
Wirksamkeit von Tysabri® im Vergleich zu anderen MS-Wirkstoffen
In einer der Zulassungsstudien wurde Tysabri® zusätzlich zu einer Interferon-Therapie infundiert und diese Kombination mit der alleinigen Interferon-Gabe verglichen. Alle Studienteilnehmer waren Interferon-vorbehandelt und hatten eine schwer verlaufende MS. Unter der Natalizumab-Interferon-Kombination waren die Schubrate und weitere Progressionsparameter verringert. Allerdings ist eine solche Kombination in Deutschland nicht zugelassen, weil darunter die Gefahr schwerer Nebenwirkungen potentiell zunimmt.
Nebenwirkungen von Tysabri®
Im Regelfall wird Tysabri® recht gut vertragen. Die häufigsten Nebenwirkungen von Tysabri® sind Kopfschmerzen, depressive Verstimmung, Infekte (v.a. der oberen Atemwege und Harnwegsinfektionen), Grippe-ähnliche Gliederschmerzen und Müdigkeit. Auch Überempfindlichkeitsreaktionen sind realtiv häufig (bei 1-5% aller Anwender).
Demgegenüber stehen einige sehr schwere Komplikationen, die zwar selten, dafür aber lebensbedrohlich sind. Dazu zählen schwere Leberschäden und die Progressive Multifokale Leukenzephalopathie (PML, eine lebensbedrohliche virale Infektion des Zentralnervensystems, ermöglicht durch die therapeutische Immunblockade).
Wechselwirkungen von Tysabri® mit anderen Medikamenten
Vorsicht geboten ist bei Tysabri® unter der gleichzeitigen Einnahme von anderen Immunblockern, weil dadurch der abwehrschwächende Effekt zu groß wäre.
Fazit
Das Arzneitelegramm rät von der Behandlung mit Natalizumab (Tysabri®) außerhalb klinischer Studien ab. Die Autoren begründen das mit der Gefahr schwerer Nebenwirkungen (v.a. progressive multifokale Leukenzephalopathie), die der potentielle Nutzen ihrer Einschätzung nach nicht rechtfertigt.
Wirkung
Wie wirkt Natalizumab (Tysabri) gegen MS?
Natalizumab (Tysabri®) ist ein monoklonaler Antikörper zur Behandlung der schubförmigen MS. Die Behandlung ist zu erwägen, wenn Basismedikamente wie Interferon beta oder Glatirameracetat nicht wirksam sind und eine hohe Krankheitsaktivität besteht.
Der Antikörper bindet an spezielle Rezeptoren von weißen Blutzellen, die an der Entzündungsreaktion der Multiplen Sklerose beteiligt sind. So können bestimmte Blut- und Abwehrzellen, die die Entzündung aktivieren, nicht so leicht die sogenannte Blut-Hirn-Schranke überwinden. Sie gelangen also nicht mehr in so großer Menge zu den MS-Herden. Bereits in das zentrale Nervensystem eingedrungene Entzündungszellen werden zudem daran gehindert, aus den Blutgefäßen auszutreten und ins Hirngewebe zu wandern.
Tysabri® wird in der Regel als Infusion einmal pro Monat verabreicht.
MS: Für wen kommt eine Behandlung mit Natalizumab (Tysabri) in Betracht?
Natalizumab ist vor allem dann eine Option, wenn bei einer schubweise verlaufenden Multiplen Sklerose eine Basistherapie mit Interferon nicht zu einer ausreichenden Eindämmung der Krankheitsaktivität führt. Wenn also trotz des Interferons mindestens ein Schub im letzten Jahr aufgetreten ist und auch diagnostische Maßnahmen eine hohe Entzündungsaktivität nachweisen.
So zumindest lauten die offiziellen Empfehlungen. Ob man nach einem Scheitern einer Interferon-Therapie auf ein anderes Medikament umsteigen will, das ebenfalls das Immunsystem unterdrückt und auch ein erhebliches Risikopotential beinhaltet, ist letztlich auch eine individuelle Entscheidung. Immerhin wurde in den Zulassungsstudien zu Tysabri® ein Rückgang der Schübe um durchschnittlich rund 50% erreicht.
Nicht angewendet werden sollte Natalizumab bei Kindern und Jugendlichen, während der Schwangerschaft und Stillzeit, bei ohnehin schon stark abwehrgeschwächten Personen und möglichst auch nicht in höherem Alter.
Tipps zur Einnahme
Darf man Tysabri gleichzeitig mit Interferon oder Copaxone anwenden?
Nein, die Behandlung mit Natalizumab (Tysabri®) ist eine Einzelbehandlung, die nicht mit Interferon-Spritzen oder Glatirameracetat (Copaxone®) kombiniert werden darf – zumindest nicht ohne Absprache mit dem Arzt. Das gilt auch für andere MS-Medikamente, die zu den Immunsuppressiva oder Immunmodulatoren zählen – also praktisch alle.
Deshalb ist es auch wichtig, den Arzt über etwaige Behandlungen anderer Erkrankungen mit Substanzen, die das Immunsystem beeinflussen, zu informieren. Dazu zählt auch Kortison.
Risiko schwerer Nebenwirkung soll minimiert werden
Der wesentlichste Grund für das Verbot: Schon die alleinige Behandlung mit Natalizumab geht mit einem gewissen Risiko einer lebensbedrohlichen Virusinfektion des Gehirns einher (PML, Wahrscheinlichkeit bis zu 1:250). Dieses Risiko nimmt noch zu, wenn man andere Medikamente einnimmt, die das Immunsystem unterdrücken.
Studien
Studienteilnehmer profitieren von längerfristiger Natalizumab-Behandlung
Wer wegen seiner schubförmigen MS Natalizumab nimmt, sollte auch mittelfristig nicht ohne Not wieder zu Interferon wechseln, so das Fazit einer kleinen Schweizer Studie. Patienten würden auch nach einem Zeitraum von einem Jahr durch eine geringere Schubrate und einen milderen Krankheitsfortschritt deutlich profitieren.
Für die Studie wurden 19 Patienten mit schubförmig remittierender MS (Relapsing Remitting MS, RR-MS), die bereits mehr als 12 Monate Natalizumab erhalten hatten, in zwei Gruppen geteilt: 10 erhielten weiterhin Natalizumab, 9 wechselten zu Interferon Beta 1b (IFNB). In den darauffolgenden Monaten blieben 78% der Inferferon-Tester schubfrei, aber 100% der Natalizumab-Probanden. Auch der durch neue T2-Herde im Magnetresonanztomogramm erkennbare Krankheitsfortschritt zeigte einen Unterschied: in der Interferon-Gruppe hatten 25% keine neuen T2-Herde, in der Natalizumab-Gruppe immerhin knapp 63%. Es gab bei allen Teilnehmern im Testzeitraum keinerlei ernste Nebenwirkungen.
Von dem Therapie-Doppel profitierten sogar beide Gruppen
Interessant war außerdem, dass auch die Interferon-Probanden während der Studienphase signifikant weniger Schübe als vor ihrer Natalizumab-Einnahme hatten. Ob das an einer schützenden Wirkung durch die vorangegangene Natalizumab-Behandlung lag oder am Interferon selbst, konnte nicht abschließend geklärt werden. Trotzdem scheint in einigen Fällen eine solche De-Eskalation (Wechsel vom stärkeren auf das sanftere Medikament) vorteilhafter zu sein, als z.B. keinerlei Therapie zu starten.
Zugrundeliegende Studie
Interferon beta 1b following natalizumab discontinuation: one year, randomized, prospective, pilot trial. BMC Neurol. 2013 Aug 2
Kommentar Natalizumab längerfristig nehmen?
Wie ja meistens, hat auch diese Untersuchung Plus- und Minuspunkte: Sehr kleine Teilnehmerzahl und keine Plazebogruppe…. Dafür ansonsten nach allerbesten Studienvoraussetzungen durchgeführt (nicht-Pharma-finanziert, Langzeitstudie, randomisiert, prospektiv….). Ansonsten hätte die Veröffentlichung es auch nicht in das international hochgeschätzte British Medical Journal Neurology geschafft.
Wenn es darum geht, welche Therapien die MS künftig am besten in den Griff bekommen, stehen die Nebenwirkungen (wie bei Natalizumab z.B. die seltene, aber spezifische sogenannte Progressive multifokale Leukenzephalopathie) nicht immer im Zentrum der Diskussion. Für den einzelnen MS-Patienten bleiben diese natürlich ein Thema. Trotzdem kommt man auch als Medikamenten-Skeptiker und bei kritischer Suche nach der individuell bestmöglichen Behandlung auch an solchen – ja durchaus positiven, Mut machenden – Werten und Ergebnissen einfach nicht vorbei.
Quellen:
- Tysabri® prescribing information (2020). Herausgeber: Biogen GmbH. www.tysabri.com.