Unter Schirmherrschaft der
Deutschen Gesellschaft für Gesundheit e.V.
Navigator-Medizin.de
   X   

[Krankheiten von A bis Z]

A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W X Y Z

   X   

[Medikamente von A bis Z]

A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W X Y Z

   X   

[Diagnostik & Laborwerte von A bis Z]

A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W X Y Z

   X   

[Therapieverfahren von A bis Z]

A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W X Y Z

   X   

[Gesundheitsthemen von A bis Z]

A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W X Y Z

   X   

[Symptome von A bis Z]

A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W X Y Z

   X   
Suche

Ja, unter der Behandlung mit Natalizumab (Handelsname: Tysabri®) wurde vermehrt eine gefährliche Virusinfektion des Gehirns festgestellt. Und zwar die sogenannte "Progressive Multifokale Leukenzephalopathie" (PML).

Lebensbedrohliche Viruserkrankung, wenn Abwehr nicht intakt

Dabei handelt es sich um eine schwere Krankheit, die häufig zum Tod führt. Auslöser ist das JC-Virus. Das Virus führt zu einer fortschreitenden Entmarkung der weißen Hirnsubstanz. Die PML ist sehr selten und tritt praktisch nur bei stark abwehrgeschwächten Personen auf. Unter der Behandlung mit Tysabri® wird das Risiko je nach Quelle (Hersteller oder Behörden) nach einigen Jahren der Einnahme auf 1:3.000 bis 1:250 geschätzt.

Gegen die auslösenden JC-Viren lassen sich auch bei vielen Gesunden Antikörper nachweisen. Somit scheint eine Immunschwäche bei der Krankheitsentstehung eine entscheidende Rolle zu spielen. Die Progressive Multifokale Leukenzephalopathie wurde bisher am häufigsten bei Menschen mit einer HIV-Infektion, mit fortgeschrittener Krebserkrankung oder unter immunsuppressiver Behandlung beobachtet.

Es bleibt eine individuelle Entscheidung

Einschätzung: Natalizumab (Tysabri®) wird in der Regel nur dann verordnet, wenn andere Basis-Medikamente wie Interferon keine ausreichende Wirkung erzielen. Inwieweit dann eine Inkaufnahme eines Risikos von 1:250 für eine lebensbedrohliche Erkrankung okay ist oder nicht, ist objektiv nicht zu beantworten. Das muss jeder für sich selbst entscheiden, auch ein Arzt sollte hier nur beraten, nicht aber entscheiden. Es hängt sicher auch davon ab, wie belastend die MS-Symptome sind und wie viel man sich von der Behandlung mit Natalizumab verspricht. Fest steht, dass das Risiko für die Hirninfektion bei kurzzeitiger Einnahme (weniger als 1 Jahr) deutlich geringer ist (bisher kein Fall aufgetreten).

Noch eine weitere Statistik: Bis April 2011 wurden weltweit 102 Fälle von PML bei 82.732 mit Natalizumab behandelten Personen bekannt. Umgerechnet ergeben sich bei einer einmal monatlichen Behandlung für verschiedene Behandlungsdauern folgende Risiken:

Häufigkeit der Infusionen (Behandlungsdauer): bis 24

  • PML pro 1.000 Behandelte: 0,3

Häufigkeit der Infusionen (Behandlungsdauer): 24 - 36

  • PML pro 1.000 Behandelte: 1,5

Häufigkeit der Infusionen (Behandlungsdauer): 37 - 48

  • PML pro 1.000 Behandelte: 0,9

An welchen Symptomen erkennt man eine Hirninfektion (PML) unter Natalizumab?

Leider kann man die Symptome bei der PML (Progressive Multifokale Leukenzephalopathie) nicht leicht von MS-Symptomen unterscheiden. Denn es handelt sich bei beiden Erkrankungen um Entmarkungskrankheiten, die neurologische Beschwerden verursachen.

Eine PML kann sich zu Beginn in Form von Halbseitensymptomen, epileptischen Anfällen, Sprachproblemen, Gleichgewichtsstörungen, Gesichtsfeldausfällen und ähnlichen Beschwerden bemerkbar machen. Nahezu alle aufgezählten Symptome sind auch bei einem Schub der Multiplen Sklerose denkbar. Eine Untersuchung des Nervenwassers (Liquor) und das Fehlen neuer MS-Läsionen in den MRT-Aufnahmen (Magnetresonanztomographie) können die Diagnose sichern.

Welche Faktoren erhöhen das Risiko für eine "Progressive Multifokale Leukenzephalopathie" unter Tysabri?

Die US-amerikanische Gesundheitsbehörde (Food and Drug Administration, FDA) nennt mögliche Risikofaktoren für die seltene Entwicklung der Progressiven Multifokalen Leukenzephalopathie (PML) unter der Behandlung mit Tysabri® (Natalizumab).

Demnach erhöht sich das Risiko:

  • mit längerer Behandlungsdauer, insbesondere bei über zweijähriger Behandlung
  • bei einer vorherigen, anderen immunsuppressiven Behandlung, unabhängig von der Behandlungsdauer mit Tysabri®
  • bei Menschen mit positivem Nachweis von JC-Antikörpern (JC-Viren sind die Auslöser dieser schweren Hirninfektion)

Antikörper gegen JC sind weit verbreitet und bei 50-60% der Menschen mit Multipler Sklerose zu vermuten. Ein positiver Antikörperbefund bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass Natalizumab nicht verabreicht werden darf. Die individuelle Risikoeinschätzung und die Entscheidung für oder gegen das Medikament ist in jedem Fall etwas, was Sie gründlich mit Ihrem Arzt oder Ihrer Ärztin besprechen sollten.

Wann sollte man auf das JC-Virus untersuchen?

Eine klare Empfehlung zur Bluttestung besteht derzeit für Personen mit über zweijähriger Natalizumab-Behandlung und vorheriger immunsuppressiver Behandlung, etwa mit Mitoxantron oder Azathioprin. Dies gilt nicht für eine vorherige Behandlung mit Interferon-Wirkstoffen, Glatirameracetat oder Kortison.

Bei positiver Antikörpertestung sollte Tysabri® abgesetzt werden bzw. nur nach strenger Risiko-Nutzen-Analyse weiter verabreicht werden. Ein negativer Antikörpernachweis bedeutet nicht, dass kein Risiko besteht. Deshalb werden jährlich wiederholte Testungen empfohlen.

Quellen:

  • Tysabri® prescribing information (2020). Herausgeber: Biogen GmbH. www.tysabri.com.

Haben Sie eigene Erfahrungen oder eine andere Meinung? Dann schreiben Sie doch einen Kommentar (bitte Regeln beachten)

Kommentare

Autor unseres Artikels
 
Dr. med. Jörg Zorn, Arzt / medizinischer Fachautor

Dr. med. Jörg Zorn
Arzt / medizinischer Fachautor

    Studium:
  • Universitätsklinik Marburg
  • Ludwig-Maximilians-Universität in München
    Berufliche Stationen:
  • Asklepios Klinik St. Georg, Hamburg
  • Medizinischer Chefredakteur im wissenschaftlichen Springer-Verlag

mehr Informationen

Medizinische Prüfung
des Artikels
Dr. med. Monika Steiner, Ärztin / Gutachterin für medizinische Fortbildung

Medizinisch geprüft von
Dr. med. Monika Steiner
Ärztin / Gutachterin für medizinische Fortbildung

    Studium:
  • Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität, Bonn
    Berufliche Stationen:
  • Leitung Medizin-Online / Chefredakteurin Springer Nature
  • Medizinische Gutachterin für ärztliche CME-Fortbildung bei esanum.de

mehr Informationen

Navigations-Menü & weitere Artikel zum Thema Top

Dr. med. Jörg Zorn, Arzt / medizinischer Fachautor

Autor
Dr. med. Jörg Zorn
Arzt / medizinischer Fachautor

mehr Informationen

 

Medizinisch geprüft von
Dr. med. Monika Steiner
Ärztin / Gutachterin für ärztliche Fortbildung

mehr Informationen