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Für psychisch gesunde Menschen ist es oft schwer nachzuvollziehen, dass sich Menschen mit Borderline-Störung selbst verletzen und zum Beispiel mit einem Messer die Haut ritzen. Die Betroffenen tun das aber nicht, um Aufmerksamkeit zu erregen oder Mitleid zu erhaschen. Vielmehr suchen sie darin nach einer Möglichkeit, ihre massive innere Anspannung abzubauen.

Gefühlschaos und gähnende innere Leere

"Borderliner" erleben oft innerhalb kürzester Zeit ein Wechselbad der Gefühle. Eben noch gut drauf und voller Euphorie und Tatendrang, kann im nächsten Moment die Welt für sie zusammenbrechen. Diese emotionalen Extremsituationen führen zu starker innerer Spannung. Betroffene wissen nie, was sie als nächstes erwartet und welche Katastrophen wieder über sie hereinbrechen.

Daneben kennen Menschen mit einer Borderline-Störung aber auch das Gefühl der völligen Leere und Langeweile. Das mag auf den ersten Blick paradox wirken. Hinter beidem – dem Gefühl innerer Anspannung wie auch der Leere – steckt jedoch letztlich ein sehr fragiles Selbstbild. Betroffene können sich selbst nicht richtig greifen und fühlen. Das führt oft dazu, dass sie sich selbst als Person nicht mehr spüren können, was ein entsetzlicher Zustand ist, wenn man bedenkt, dass die menschliche Identität entscheidend ist, um sich in der Welt und unter seinen Mitmenschen zu verorten.

Um wieder spüren zu können, dass sie existent sind, und die Spannung abzubauen, greifen Menschen mit Borderline in solchen Momenten dann oft zu Mitteln, die sie ganz plastisch sich selbst spüren lassen.

Klassisch: Ritzen am Unterarm

Es sind verschiedene Arten der Selbstschädigung und Selbstverletzung bei Menschen mit Borderline möglich. Besonders häufig fügen sich Betroffene mit Messern, Rasierklingen, Scherben oder anderen scharfen Gegenständen Schnitte zu. Typisch sind auch Brandverletzungen durch Zigaretten. Bevorzugt werden Verletzungen an der Innenseite des Unterarms zugefügt, die leicht zugänglich ist. Sie können oberflächlich, aber auch tief sein und Narben hinterlassen.

Auch das Kratzen beziehungsweise Aufkratzen von Wunden kann einer Selbstverletzung gleichkommen. Möglich sind auch Nägelkauen, bis es blutet, oder das Ausreißen von Haaren. Manche Borderliner schlagen vielleicht mit dem Kopf gegen den Tisch oder die Wand, andere nehmen Medikamente oder Chemikalien ein.

Alles, was schaden kann – bis hin zum Suizidversuch

Beim Thema Selbstverletzung ist prinzipiell jede Art von selbstschädigendem Verhalten möglich. Dazu gehört auch riskantes Verhalten, das eher indirekt selbstschädigend wirkt. Beispiele sind schnelles und riskantes Autofahren, Balancieren in großen Höhen, ohne gesichert zu sein, aber auch riskanter Sex oder Stehlen. Bei solchen Aktionen kann es zu Unfällen und Selbst- wie Fremdgefährdung kommen.

Als Extremvariante kann die Selbstschädigung auch in einen Suizidversuch münden. Man muss davon ausgehen, dass es zwischen einer Selbstverletzung in suizidaler Absicht, also einem missglückten Suizidversuch, und Selbstverletzungen ohne diese konkrete Absicht fließende Übergänge gibt. Die Motivation zur Selbstverletzung muss daher genau geklärt werden.

Entlastung nur kurzfristig

Nach einer Selbstverletzung lässt die Spannung in der Regel tatsächlich nach und verschafft vorübergehend Erleichterung und Bestätigung. Das Gefühl ist jedoch trügerisch, denn die Entlastung ist nur von kurzer Dauer, so dass Betroffene immer wieder zu selbstschädigenden, oft immer drastischeren Maßnahmen greifen.

In der Therapie ist es daher wichtig, alternative Mechanismen zum Spannungsabbau anzubieten und das selbstverletzende Verhalten Schritt für Schritt abzubauen. Helfen kann dabei ein sogenanntes Skills-Training.

Was tun, wenn die Spannung zu groß wird? Skills bei Borderline

Es gibt viele Maßnahmen und Strategien, mit deren Hilfe Menschen mit Borderline-Störung lernen können, Spannung abzubauen, ohne sich dabei selbst zu verletzen. Jeder sollte sich sein eigenes Bündel an Maßnahmen schnüren und in einem Notfallkoffer verstauen, auf den er jederzeit zugreifen kann.

Chilis statt Messer

Die Fertigkeiten, die "Borderlinern" dabei helfen können, unbeschadet durchs Leben zu gehen, werden auch Skills genannt. Im Rahmen der sogenannten Dialektisch-Behavioralen Therapie (DBT), die speziell für Borderline entwickelt wurde, ist ein festes "Skills-Training" vorgesehen, in dem Betroffene viele Tricks lernen, um mit ihren Gefühlsschwankungen besser umzugehen. Daneben erfahren sie aber auch viel über sich selbst, trainieren in Gruppen zusammen mit anderen Betroffenen ihren sozialen Umgang und werden in ihrem Selbstbild gestärkt.

Die einzelnen Skills können aber auch unabhängig von dem aufwendigen Therapiekonzept der DBT angewandt werden. Eine Vielzahl von Ersatzreizen ist sensorischer Art, stimuliert also einzelne Sinne. Dabei werden oft auch unangenehme Reize gesetzt, die aber nicht gefährlich sind. Natürlich muss man mit scharfen und reizenden Substanzen wie Chilischoten vorsichtig sein, um sich keinem Gesundheitsrisiko auszusetzen.

Hier einige Beispiele:

  • Verreiben von Eiswürfeln auf der Haut
  • Kauen von Chilischoten
  • saure oder scharfe Bonbons, Kaugummis (Achtung, vor allem saure und zuckerhaltige Bonbons sind schlecht für die Zähne!)
  • Brausetabletten
  • Gummi zum Schnalzen für das Handgelenk
  • Knetbälle
  • harte Bürste

Packen Sie Ihren Notfallkoffer

Aber auch Handlungen, Gegenstände oder Gerüche, die mit angenehmen Gefühlen verbunden sind, können ablenkend wirken und Spannung reduzieren. Ob dies nun das Hören von Musik ist, das Lieblingsstofftier oder Duschen und Eincremen mit einer wohlriechenden Körperlotion – der Fantasie sind hier keine Grenzen gesetzt.

Jeder muss selbst herausfinden, was ihm am besten hilft. Wenn man einige Mittel gefunden hat, die einem guttun, verstaut man sie am besten in einem Koffer oder ähnlichem und bewahrt ihn an einem Ort auf, den man gut erreichen kann. Sie können auch einen Zettel hineinlegen, auf den Sie schreiben, was Sie noch tun könnten, wenn die Anspannung steigt. Kleine Gegenstände wie Gummis oder Bonbons kann man auch überall hin mitnehmen. So hat man seine kleinen Helfer im Alltag immer parat.

Wichtig ist aber auch zu lernen, solche Hilfen möglichst frühzeitig einzusetzen, bevor die innere Spannung unerträglich wird. Dafür muss man gut auf sich hören und außerdem motiviert sein, wirklich nicht mehr auf selbstschädigendes Verhalten zurückzugreifen. Denn so prickelnd eine Brausetablette auch sein mag – an den Reiz beim Durchschneiden der Haut kommt sie nicht heran. Gesünder ist sie aber allemal!

Quellen:

  • Leitlinienprogramm Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF), verfügbar unter: https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/028-033_S1_Persoenlichkeitsstoerungen__F60__F61__11-2006_11-2011_01.pdf
  • Memorix Psychiatrie und Psychotherapie; Laux, Gerd; Möller, Hans-Jürgen: Georg Thieme Verlag 2008

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