Die Ursachen der Krankheit sind nicht sicher geklärt. Vermutlich kommt eine Mischung aus Erbfaktoren und Lebenserfahrungen zum Tragen, wenn sich eine Borderline-Persönlichkeit herausbildet. Wie bei anderen psychiatrischen Erkrankungen auch lässt sich die Entwicklung in einem bio-psycho-sozialen Modell nachvollziehen.
Nicht aus heiterem Himmel
Ähnlich wie körperliche Erkrankungen haben auch Störungen im seelisch-psychischen Bereich bestimmte Ursachen und fallen nicht einfach vom Himmel. Nur ist es oft nicht so klar und eindeutig wie z.B. bei einer Blasenentzündung, die man sich zuziehen kann, wenn man zu lange auf einer kalten Bank saß; oder wie beim Fußpilz nach dem Besuch im Schwimmbad.
Psychische Erkrankungen entwickeln sich meist über einen langen Zeitraum aus einem ganzen Bündel verschiedener Ursachen. In der Psychologie werden zur Veranschaulichung dieser komplexen Genese gern Modelle herangezogen.
Dabei hat sich das sogenannte bio-psycho-soziale Modell als maßgeblich für sämtliche psychiatrischen Erkrankungen herauskristallisiert. Es besagt, dass folgende Elemente in jeweils unterschiedlicher Gewichtung an deren Entstehung beteiligt sind:
Wie erklärt das bio-psycho-soziale Modell die Entstehung eines Borderline-Syndroms?
Bio
Mit den biologischen Faktoren sind krankhafte Veränderungen im körperlichen Bereich gemeint, die oft auch messbar und darstellbar sind. Hierzu gehören genetische Anlagen, aber auch entzündliche, bösartige oder Alterungsprozesse.
Gerade bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung geht man von einem recht großen genetischen Einfluss aus. Einzelne Gene, die der psychischen Erkrankung zugeordnet werden können, ließen sich bislang jedoch nicht ausmachen.
Eine Zwillingsstudie ergab lediglich Hinweise auf einen Zusammenhang. Doch ist der Nachweis an Zwillingen eher schwierig, da diese zumeist zusammen in der gleichen Umgebung aufwachsen und somit den gleichen Umweltfaktoren ausgesetzt sind.
Verschiedene Studien zeigen daneben eine gestörte Kommunikation zwischen Hirnbereichen, die für emotionale Verarbeitungsprozesse bedeutsam sind. Veränderungen von Hirnarealen und des Hirnstoffwechsels werden ebenfalls diskutiert. Hier besteht jedoch noch großer Forschungsbedarf..
Psycho
Die jeweilige Veranlagung und Prägung der Persönlichkeit spielt eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung psychischer Erkrankungen. So gibt es eher stille und zurückgezogene Menschen oder im Gegenteil die extrovertierten, kommunikativen Typen.
Sie sind jeweils für verschiedene Krankheiten eher anfälliger oder resistenter. "Borderliner" sind oft selbstunsichere Menschen, die kein klares Selbstbild und Selbstwertgefühl entwickelt haben. In ihrem Verhalten können sie zeitweise aufbrausend sein, um sich dann aber wiederum völlig zurückzuziehen.
Sozial
Die Erfahrungen, die ein Mensch im Verlauf seines Lebens mit anderen Menschen macht, prägen ihn nachhaltig. Dabei spielen insbesondere die familiären Bindungen in Kindheit und Jugend eine Rolle.
In der Lebensgeschichte von "Borderlinern" lassen sich oftmals ungünstige Bedingungen vor allem in der Kindheit durch problematische Beziehungen feststellen. Häufig haben Betroffene traumatische Erfahrungen etwa mit Missbrauch, Gewalt oder Vernachlässigung in ihrem Umfeld gemacht.
Auch Heimaufenthalte und Schwierigkeiten in der Schule wie Ausgrenzung und Mobbing können eine Rolle spielen. Allerdings entwickeln nicht alle Kinder, die solche Erfahrungen gemacht haben, später eine Borderlinestörung. Sie müssen also eigene Abwehrmechanismen entwickelt haben, um sich von den Erlebnissen zu distanzieren.
Es ist wichtig, dass der Therapeut gemeinsam mit dem Betroffenen die Hintergründe seines Leidens herausarbeitet. Es gibt vielfältige psychologische Taktiken und Übungen, um die meist unbewussten Mechanismen im Hintergrund aufzudecken.
Oft ist es sehr hilfreich und entlastend, wenn man versteht, warum man in manchen Situationen immer auf eine bestimmte Art und Weise reagiert oder wieso einem manches einfach nie gelingt. Diese Erkenntnis liefert den Schlüssel zu den richtigen therapeutischen Ansätzen
Ist die Borderline-Störung eine organische Krankheit?
Das ist gar nicht so leicht zu beantworten. Es wurden zwar Veränderungen im Gehirn gefunden, wie das bei vielen anderen psychischen und psychiatrischen Krankheiten auch der Fall ist. Allerdings stellt sich immer die Frage nach der Henne und dem Ei: Was war zuerst da?
Veränderte Hirnareale
Sicher ist, dass die Erkrankung mit bestimmten Hirnveränderungen einhergeht, die sich auch messen und darstellen lassen. So gibt es beispielsweise Auffälligkeiten in den Regelkreisen der emotionalen Regulation.
Bildgebende Untersuchungen zeigen in Tests der Impulskontrolle tendenziell eine Unterfunktion im sogenannten präfrontalen Kortex. Das ist ein Teil im Bereich der Stirnseite des Gehirns, der für höhere geistige, aber auch psychische und soziale Leistungen des Menschen verantwortlich ist.
Tendenziell reduzierte Hirnvolumina ließen sich daneben in Hirnbereichen nachweisen, die für die Gedächtnisfunktionen (Hippocampus) und Gefühlsreaktionen (Amygdala) wichtig sind. Auch Nervenbotenstoffe wie Serotonin oder Dopamin sind für die Persönlichkeitsstörung wahrscheinlich bedeutsam. Hier gehen Wissenschaftler von einem Ungleichgewicht aus.
Vieles noch unklar
Aber zurück zu Henne und Ei: Löst nun die Hirnveränderung die Störung aus, oder ist die organische neurobiologische Veränderung Folge der Krankheit?
Da bekannt ist, dass traumatische Erfahrungen in der Kindheit und Jugend Hirnveränderungen verursachen können, könnte man zumindest annehmen, dass das auch bei der Borderlinestörung so ist, die meist mit Traumata im Verlauf der Entwicklung verbunden ist. Fraglich ist natürlich auch, ob jeder mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung organische Veränderungen im Gehirn aufweist.
Gut vorstellbar ist, dass sich Hirnstrukturen und auch der Hirnstoffwechsel mit einer Besserung der Krankheit normalisieren. Dazu müssten aber noch viele weitere Untersuchungen und Studien durchgeführt werden.
Zusammenspiel von Körper und Psyche
Grundsätzlich lässt sich bei aller Vorsicht und dem noch erheblichen Forschungsbedarf sagen, dass eine Borderline-Erkrankung organische Komponenten aufweist. Daneben spielen aber immer noch weitere Faktoren eine Rolle. So stehen oft traumatische Erfahrungen wie Missbrauch und Gewalt in Kindheit und Jugend im Hintergrund.
Und schließlich ist die individuelle Veranlagung und Persönlichkeitsstruktur ganz entscheidend dafür, wie diese Erfahrungen und Prägungen verarbeitet werden. Denn nicht jeder, der solche seelischen Verletzungen erlitten hat, entwickelt eine Persönlichkeitsstörung.
Sind Eltern oder Angehörige für die Borderline-Störung ihres Kindes verantwortlich?
Das kann man so pauschal nicht sagen. Viele Eltern fragen sich, inwieweit sie für die Entstehung der Erkrankung ihres Kindes verantwortlich sein könnten. Oder sie fürchten, dazu beizutragen, dass sich die Krankheit ihres Kindes nicht verbessert. Hier hilft ein differenzierter Blick auf die Hintergründe einer Persönlichkeitsstörung.
Die eine Ursache gibt es nicht
Denn: Nicht alle Menschen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung haben in ihrer Kindheit traumatische Erfahrungen durch die Eltern gemacht. Umgekehrt wird nicht jedes traumatisierte Kind oder jeder Jugendliche mit traumatischen Erfahrungen zum "Borderliner".
Vielmehr ist die Entstehung einer Persönlichkeitsstörung äußerst komplex. Es kommen immer verschiedene Faktoren und Persönlichkeitsmerkmale zusammen, wenn die Störung entsteht.
Sie bricht auch nicht von einem Moment auf den anderen einfach aus, sondern entwickelt sich über einen längeren Zeitraum. Dabei kann es schwierig sein, einzelne Anzeichen oder Charakterzüge richtig zu interpretieren.Meist gelingt es erst im Rückblick, die sich anbahnenden Symptome einer manifesten Persönlichkeitsstörung zuzuordnen.
Anlage, Umwelt und was jeder selbst daraus macht
Man geht heute davon aus, dass hinter einer Borderline-Störung eine bunte Mischung an Ursachen steckt. Da für die Herausbildung einer individuellen Persönlichkeit die prägenden Jahre der Kindheit und Jugend entscheidend sind, spielen das Elternhaus und die Erfahrungen, die dort gemacht werden, natürlich eine wesentliche Rolle. Tatsächlich stehen gerade bei Borderline häufig schwere Traumatisierungen wie Missbrauch und Gewalt im Hintergrund. Das ist jedoch keineswegs zwingend.
Von Seiten der Lerntheorie können beispielsweise auch erlernte Verhaltensweisen oder das sogenannte Modell-Lernen entscheidend sein. Dabei orientiert sich das eigene Verhalten am Vorbild anderer Menschen, die nicht zwangsläufig Familienangehörige sein müssen. Die übernommenen Verhaltensweisen können so stark ausgebildet werden, dass sie persönliche Ansichten und Einstellungen schließlich zementieren.
Und genau das ist ein Merkmal von Persönlichkeitsstörungen: Starre, nahezu unverrückbare Überzeugungen und Verhaltensmuster, die früher oder später das soziale Zusammenleben erheblich beeinträchtigen.
Tauschen Sie sich aus!
Eltern und Angehörige sollten sich hinsichtlich der Krankheit ihres Kindes daher ganz auf die Experten verlassen. Klärungen von Ursachen der Persönlichkeitsstörung sowie die Heilung bzw. Kontrolle der Störung bedürfen eines professionellen Vorgehens.
Für Eltern ist oftmals ein Austausch mit anderen betroffenen Eltern hilfreich. In Selbsthilfegruppen können sie von Erfahrungen anderer Angehöriger profitieren und ihre Probleme besprechen.
Anlaufstellen und Adressen bietet zum Beispiel diese Internetseite:
Welchen Einfluss haben die Gene beim Borderline-Syndrom?
Ähnlich wie bei körperlichen Erkrankungen, gibt es auch neurobiologische Faktoren, die zur Entstehung der Störung beitragen können. Auch wenn der Nachweis nicht so einfach ist wie z.B. bei einer Lungenentzündung, die sich oft als deutlich sichtbare Verschattung auf dem Röntgenbild zeigt, so lassen sich doch Veränderungen bestimmter Hirnareale und des Hirnstoffwechsels bei Betroffenen einer Borderline-Störung nachweisen.
Und schließlich ist ein guter Teil wohl auch Veranlagung und wird genetisch vererbt. Das ist zwar in gewisser Weise ein Beitrag der Eltern, den ihnen aber wohl niemand zum Vorwurf machen kann.
Quellen:
- Leitlinienprogramm Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF), verfügbar unter: https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/028-033_S1_Persoenlichkeitsstoerungen__F60__F61__11-2006_11-2011_01.pdf
- Memorix Psychiatrie und Psychotherapie; Laux, Gerd; Möller, Hans-Jürgen: Georg Thieme Verlag 2008