Liegt tatsächlich eine Blinddarmentzündung vor, ist die operative Entfernung des entzündeten Wurmfortsatzes aus Sicherheitsgründen in der Regel zu empfehlen. In der Praxis besteht das Problem allerdings eher darin, festzustellen, ob der Blinddarm wirklich entzündet ist.
Eine Entfernung gesunder Wurmfortsätze gibt es wohl an jeder Klinik. Liegt die Rate aber über 20% – und damit deutlich über dem vermuteten Durchschnittswert von 15% – ist von einer „Überdiagnostik“ auszugehen. Diese geht übrigens nicht selten mit einem auffallend hohen Anteil an jungen Frauen im Patientengut einher.
In Thüringen wird der Blinddarm am häufigsten entfernt
Experten zufolge kommt es im internationalen Vergleich, beispielsweise gegenüber England, in Deutschland traditionell (zu) oft zur Blinddarmentfernung. Die Operation ist aber seit den 1970er-Jahren um die Hälfte zurückgegangen (angeblich von 300.000 auf 150.000). Mit weiter fallender Tendenz:
Wurde zur Jahrtausendwende (im Jahr 2000) im bundesweiten Durchschnitt noch rund 570 von 100.000 Jungen und Mädchen unter 15 Jahren der Blinddarmfortsatz entfernt, waren es im Jahr 2008 nur noch 245 und damit weniger als die Hälfte.
Erstaunlich sind allerdings die regionalen Unterschiede. So stehen am unteren Ende der Skala in Bremen 136 Fälle (pro 100.000 Kinder und Jugendliche) einer Krankenhausbehandlung aufgrund von Blinddarmbeschwerden dem Spitzenreiter Thüringen mit 359 Fällen (pro 100.000) gegenüber.
Junge Frauen kommen am häufigsten unters Messer
Am häufigsten wird der (entzündete) Wurmfortsatz übrigens jungen Frauen entfernt. Die Zahl der Operationen ist bei ihnen im zweiten Lebensjahrzehnt mit Abstand am höchsten und erreicht das Maximum beim Alter von etwa 20 Jahren.
Das männliche Geschlecht weist dagegen eine wesentlich flachere Verteilungskurve auf, deren Gipfel sich etwa in der Mitte des dritten Lebensjahrzehnts, also zwischen 20 und 30 Jahren, befindet.
Ausnahme: Morbus Crohn
Ein Morbus Crohn zählt zu den wenigen Umständen, bei denen eine Blinddarmentzündung nach Möglichkeit nicht operativ behandelt wird. Der Grund ist die verstärkte Gefahr der Fistelbildung nach der Blinddarm-OP. Also das Entstehen von Verbindungen zwischen verschiedenen Darmabschnitten inklusive des Blinddarms, zu der Menschen mit Morbus Crohn neigen.
Wenn bei einem akuten Schub des Morbus Crohn eine sogenannte Begleit-Appendizitis auftritt, wird zunächst medikamentös behandelt. Eine Operation erfolgt dann erst, wenn sie, bei weiterer Verschlimmerung, zwingend geboten erscheint.
Was sind vorbeugende Blinddarmoperation?
Ja, die gibt es, sie ist allerdings umstritten. Zum einen wird bei manchen Bauchoperationen, z.B. aus gynäkologischem Anlass, der Wurmfortsatz des Blinddarms gelegentlich mitentfernt. Die Überlegung dahinter:
Das Darmanhängsel als rudimentäres lymphatisches Organ („Darm-Mandel“) scheint für entzündliche Veränderungen besonders empfänglich zu sein. Demzufolge wird das Operationsrisiko unter kontrollierten Bedingungen als niedriger erachtet als jenes einer möglichen Blinddarmentzündung im späteren Leben.
Abgesehen von diesen „Begleitappendektomien“ gibt es auch noch den Wunsch mancher Fernreisender, sich ihres Blinddarms vor längeren Aufenthalten in medizinisch unterversorgten Gebieten prophylaktisch zu entledigen. Sofern es nicht zuvor schon Probleme mit dem Blinddarm gab, erscheint dies allerdings gegenüber anderen gesundheitsstärkenden Maßnahmen als weniger sinnvoll.
Wird wirklich manchmal auch versehentlich der gesunde Blinddarm entfernt?
Ja und nein. Nein, weil bei der bekannten und häufig durchgeführten „Blinddarmentfernung“ nicht der ganze Blinddarm, sondern nur sein Wurmfortsatz (Appendix veriformis) entfernt wird, was man medizinisch als Appendektomie bezeichnet.
Ja, da sich eine Blinddarm-Operation in 15% der Fälle im Nachhinein als "Fehlalarm" erweist.
Warum passiert das so oft? Da man die potenziell lebensgefährliche Blinddarmentzündung von außen nicht mit 100%iger Sicherheit diagnostizieren kann, wird der nicht lebensnotwendige Blinddarm-Anhang oft auch auf „blinden Verdacht“ hin entfernt, selbst auf die Gefahr hin, dass er sich dann als gesund erweist.
Quellen:
- Kinderärzte im Netz
- Gorter, R.R. et al., Diagnosis and management of acute appendicitis. EAES consensus development conference 2015. Surg Endosc 30, 4668 (2016).
- Niedergethmann, M. Informationen für Patienten nach Blinddarmentfernung (konventionelle oder laparoskopische Appendektomie). Alfried Krupp Krankenhaus. www.krupp-krankenhaus.de.