Tiotropium trägt ebenfalls zur Weitstellung der Atemwege bei, aber auf anderem Wege als die gängigen Betamimetika. Über eine Blockade der sogenannten Muscarin-Rezeptoren werden die Bronchien entspannt und erweitert. Diese Muscarin-Rezeptoren werden ansonsten vom körpereigenen Botenstoff Acetylcholin aktiviert und stellen die Atemwege eng.
Aufgrund dieser Eigenschaft wird das Medikament bei der Behandlung von Asthma und COPD verordnet. In der Regel erfolgt die Inhalation von Spiriva einmal täglich.
Wirkung
Tiotropium blockiert den Effekt von Acetylcholin selektiv am Muscarin-Rezeptor M3 und bewirkt so eine Erweiterung der Bronchien. Neben der Kontraktion der glatten Muskulatur hemmt das Anticholinergikum dort auch die Schleimsekretion. Möglicherweise wirkt es sich zudem positiv auf den Entzündungsprozess und die Struktur der Atemwege aus.
Tiotropium besetzt Muscarin-Rezeptoren, die normalerweise auf den körpereigenen Botenstoff Acetylcholin reagieren und nach Bindung von Acetylcholin eine Verengung der Atemwege bewirken. Blockiert Tiotropium die Rezeptoren, können sie auf den Botenstoff nicht mehr reagieren und es kommt zur Weitstellung der Atemwege, einer sogenannten Bronchodilatation. Vor allem die größeren, oberen Atemwege sind von diesem Effekt betroffen. Aufgrund dieser Eigenschaft wird das Medikament bei der Behandlung von Asthma und COPD verordnet.
Stellenwert bei der COPD
Tiotropium gilt als eine der wichtigsten Neuerungen auf dem Gebiet der COPD-Therapie und zählt gegenwärtig zum Goldstandard der verfügbaren Optionen. Mittlerweile hat das langwirksame Anticholinergikum auch einen Platz in der Behandlung von Patienten mit schwer kontrollierbarem Asthma gefunden. Da der Inhalator mindestens so wichtig ist wie die Wirksubstanzen, die er verfügbar macht, ist auf eine baldige Erweiterung der Produktauswahl zu hoffen.
Im GOLD-Standard fast immer dabei
Die aktuellen Empfehlungen der Global Initiative for Chronic Obstructive Lung Disease (GOLD) lauten wie folgt:
- Bei einer mittelschweren COPD (Schweregrad 2) sind erste Wahl der Pharmakotherapie entweder LAMA (Tiotropium) oder LABA (Formoterol oder Salmeterol).
- Bei einer höhergradigen COPD sind erste Wahl ebenfalls LAMA, alternativ dazu die Kombination aus inhalativen Kortikosteroiden (ICS) und LABA.
- Können die COPD-Symptome mittels Monotherapie nicht ausreichend kontrolliert werden, wird zur dualen Bronchodilatation mit zwei lang wirksamen Bronchodilatatoren (Beta-2-Agonist plus Anticholinergikum) geraten.
- Je nach Ansprechen der Therapie und individueller Situation kommen in der zweiten Linie auch diverse andere Kombinationen in Betracht, wobei Tiotropium bzw. LAMA fast immer mit von der Partie sind.
Evidenzbasierte Vorteile
Der Stellenwert von Tiotropium in der COPD-Behandlung ist mit Evidenzgrad A fundiert. Verschiedene, teilweise hochrangig publizierte Studien belegen seine therapeutische Überlegenheit nicht nur gegenüber Plazebo, sondern auch im Vergleich mit anderen Medikamenten wie Ipratropium und dem langwirksamen Beta-2-Sympathomimetikum Salmeterol. Im Einzelnen wurden folgende Vorteile ermittelt:
- verbesserte Lungenfunktion in der Langzeittherapie ohne Toleranzentwicklung;
- stärkere Reduktion von Atembeschwerden;
- Senkung der Anzahl und Dauer von Exazerbationen;
- reduzierte Lungen-Überblähung;
- nachhaltig verbesserte Belastbarkeit;
- geringere zusätzliche Einnahme von kurz wirksamen Beta-2-Sympathomimetika;
- verbesserte Lebensqualität;
- gute Verträglichkeit und Sicherheit.
An unerwünschten Wirkungen ist mit Mundtrockenheit zu rechnen, ansonsten ist die Gefahr von Nebenwirkungen gering.
Zwei wichtige Studien
Die Einjahresstudie POET-COPD (Prevention Of Exacerbations with Tiotropium) mit mehr als 7.000 Patienten wurde 2011 im New England Journal of Medicine veröffentlicht. Ergebnis: eine signifikante Abnahme des Exazerbationsrisikos durch Tiotropium gegenüber Salmeterol.
Die länger dauernde UPLIFT-Studie (Understanding Potential Long-term Impacts on Function with Tiotropium) wies ebenfalls einen signifikanten therapeutischen Nutzen für Tiotropium nach. Zwar konnte die Krankheitsprogression als solche nicht substanziell beeinflusst werden. Es kam aber zu einer nachhaltigen Besserung von Lungenfunktion und Lebensqualität sowie zur Abnahme von Exazerbationen und Hospitalisationen. In der Langzeitanwendung wurde eine reduzierte Gesamtmortalität der behandelten COPD-Patienten nach vier Jahren beobachtet.
Positive Nutzenbewertung
Auch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) hat den nutzenstiftenden Effekt von Tiotropiumbromid für eine bessere Lebensqualität der COPD-Patienten bestätigt. Ferner wurden die Vorteile des Anticholinergikums in Bezug auf seltenere Exazerbationen und Hospitalisierungen behördlich verifiziert. Und zwar nicht nur gegenüber Plazebo, sondern auch im Vergleich mit den Wirkstoffen Salmeterol, Formoterol, Indacaterol und Ipratropium.
Im Plazebo-Vergleich sieht das IQWiG zudem leichte Vorteile bzw. „Hinweise für einen Nutzen“ aufgrund schwächer ausgeprägter Symptome. Als „Anhaltspunkt“ wertet das Institut die positiven Ergebnisse bezüglich der Belastbarkeit im Alltag.
Hohe Bedeutung bei COPD
Als erstes lang wirksames Anticholinergikum (LAMA) hat Tiotropium die Therapiemöglichkeiten bei COPD erweitert, wenn nicht revolutioniert. Bis dahin standen als pharmazeutische Optionen vor allem kurz oder lang wirksame Beta-2-Sympathomimetika (LABA) und kurz wirksame Anticholinergika (SAMA) zur Verfügung.
Im Gegensatz zum kurz wirksamen Ipatropium hält der brochodilatatorische Effekt von Tiotropium über 24 Stunden an. Dabei bindet es nicht nur mit einer etwa zehnfach höheren Affinität als Ipatropium an den Muskarin-Rezeptor. Sondern es löst sich auch viel langsamer aus der Rezeptorbindung, so dass eine maximale Bronchienerweiterung über 15 Stunden nachweisbar ist, bevor die Wirkung langsam nachlässt. Ein Vorteil liegt auf der Hand: Das Mittel muss nur einmal täglich inhaliert werden.
Spiriva (Tiotropium) bei Asthma
Die Behandlung mit Tiotropium (Spiriva®) kann bei Erwachsenen, die an Asthma leiden, unter bestimmten Voraussetzungen sinnvoll sein. Das ist vor allem dann der Fall, wenn mit den üblichen Asthma-Sprays keine ausreichende Beschwerdelinderung erreicht werden kann bzw. häufige schwere Asthma-Anfälle auftreten.
Tiotropium wird dann nicht allein, sondern in Kombination mit den zuvor schon eingesetzten Asthma-Medikamenten angewendet. Die als Basis eingesetzten Wirkstoffe, meist ein Betamimetikum (Bronchien-Weitsteller) wie Formoterol und ein Entzündungshemmer aus der Kortison-Familie, werden also weiterhin inhaliert.
Wann sinnvoll bei Asthma?
Seit 2014 ist Tiotropium in Deutschland als Add-on-Therapie bei erwachsenen Asthma-Patienten zugelassen, die trotz Basistherapie mit ICS und LABA symptomatisch sind und im Vorjahr mindestens eine schwere Exazerbation erlitten haben. Der LAMA-Einsatz auch bei Asthma ist durchaus naheliegend, da primär der Parasympathikus den menschlichen Atemwegstonus steuert.
Die Indikationserweiterung gründet auf einem umfangreichen Phase-III-Studienprogramm (UniTinA-asthma). Daran nahmen erwachsene Asthma-Patienten teil, deren Symptome trotz einer höher dosierten Behandlung mit ICS oder ICS/LABA (ICS-Dosis: ≥ 800 µg Budesonid-Äquivalent) persistierten. Außerdem war bei ihnen in den zurückliegenden 12 Monaten mindestens eine Exazerbation aufgetreten, die den Einsatz systemischer Glukokortikoide erforderlich machte.
Bessere Lungenfunktion, weniger Beschwerden
In drei Studien wurde die Auswirkung einer Zusatztherapie mit Tiotropium auf die Lungenfunktion untersucht. Übereinstimmend zeigte sich eine Besserung: Die FEV1-Werte stiegen durchschnittlich um etwa 100 ml gegenüber Plazebo an. Die Wahrscheinlichkeit für eine Besserung der asthmatischen Beschwerden stieg um 68%, das Risiko für schwere Exazerbationen sank dagegen um 21%. Die Gefahr für eine Verschlechterung des Asthma-Status verminderte sich um 31%. Außerdem dauerte es länger, bis es zu einem dieser beiden unerwünschten Ereignisse kam.
Zwei länger dauernde Studien untersuchten die klinisch relevanten Endpunkte über einen 48-wöchigen Beobachtungszeitraum. Sie wurden im New England Journal of Medicine (NEJM) publiziert. Die Addition von Tiotropium zur ICS/LABA-Standardtherapie bei Patienten mit nicht ausreichend kontrolliertem Asthma verlängerte auch hier die Zeit bis zur ersten Exazerbation signifikant. Außerdem bewirkte sie eine bescheidene anhaltende Bronchodilatation.
Aufnahme in die GINA-Empfehlung
Die internationale GINA-Leitlinie platziert Tiotropium in ihrem aktuellen Stufentherapieschema als zusätzliche Controller-Option auf Stufe 4 und 5 für erwachsene Patienten mit Exazerbationen in der Vorgeschichte. Mit der überragenden Bedeutung für die COPD-Behandlung ist der Stellenwert von Tiotropium bei Asthma also nicht vergleichbar. Dem einzelnen Patienten (und seinem Arzt) dürfte das aber herzlich egal sein, wenn er zu der Patientengruppe gehört, die von dem Antimuskarinikum besonders profitiert. Neben Betroffenen mit schlechter Asthma-Kontrolle zählen dazu auch Super-Responder, die stärker auf LAMA als auf LABA ansprechen.
Tiotropium ist also auf jeden Fall einen Versuch wert, wenn die übliche Asthmatherapie mit LABA nicht so anschlägt wie erhofft. Zumal die meisten dieser Patienten dann schon Leukotrien-Antagonisten ausprobiert haben und systemische Glukokortikoide zwar gut wirken, aber auch mit schweren Nebenwirkungen behaftet sind.
Wichtig: mangelnde Asthma-Kontrolle kann auch an Problemen mit Inhalator liegen
Dabei ist Folgendes zu beachten: Patienten mit unzureichender Asthmakontrolle aufgrund mangelnder Adhärenz sind von solchen mit schwer therapierbarem Asthma zu unterscheiden. Dazu ist der prüfende Blick auf die Inhalationstechnik dringend zu empfehlen.
Zudem ist die Gruppe der für die Tiotropium-Behandlung infrage kommenden Patienten sorgfältig einzugrenzen. So wurden bei den beiden NEJM-Studien Asthmatiker mit bekannter Herzerkrankung ausgeschlossen. Denn im getesteten Soft-Inhaler besitzt das applizierte Tiotropium eine kleinere Partikelgröße als das ICS/LABA-Gemisch in den Trockenpulver-Inhalatoren. Dadurch gelangt es vermutlich auch noch weiter in die Peripherie der Atemwege und kann deshalb zusätzliches Lungenvolumen über ein vermindertes Airtrapping nutzbar machen. Die parallelen Anstiege bei der forcierten Vitalkapazität (FVC) und FEV1 in den beiden NEJM-Studien sind ein Hinweis dafür.
Gleichzeitig kann die verbesserte Tiotropium-Freisetzung aber auch die Plasmaspiegel ansteigen lassen und damit potenziell das Risiko für Todesfälle aufgrund kardiovaskulärer Ursachen erhöhen.
Einnahme
Wie oft muss man Tiotropium (Spiriva) anwenden?
In der Regel wird Spiriva® nur einmal täglich angewendet, da Sie, wenn Sie das Medikament verschrieben bekommen, wahrscheinlich zusätzlich andere Präparate zu Behandlung Ihres Asthmas oder Ihrer COPD einnehmen. Um eine optimale Wirkung zu erzielen, sollte das Spray genau nach Dosierungsanleitung angewendet werden, da sich die volle Wirksamkeit erst nach einigen Tagen entfaltet und nur durch eine regelmäßige Anwendung aufrecht erhalten werden kann. Die genaue Art der Anwendung sollten Sie im Zweifel immer mit Ihrem behandelnden Arzt absprechen.
Kann man Tiotropium (Spiriva) einfach absetzen?
Zwar tritt bei der Anwendung von Tiotropium anders als bei anderen Sprays zur Erweiterung der Bronchien keine Gewöhnung des Körpers statt, die Entzugserscheinungen zur Folge haben könnten. Allerdings können die Symptome Ihrer zugrundeliegenden Erkrankung nach einem plötzlichen Absetzen wieder sehr heftig werden, auch wenn Sie während der Anwendung des Medikaments keinerlei Atembeschwerden hatten. Atemnot bis hin zu Erstickungsanfällen können nach dem Weglassen des Medikaments die Folge sein. Deshalb sollten Sie immer mit dem behandelnden Arzt Rücksprache halten, bevor Sie Tiotropium absetzen, um das Risiko einer Fehlentscheidung zu minimieren.
Noch ein Extra-Tipp:
Können natürliche Wirkstoffe bei Asthma sowie COPD hilfreich sein?
Unsere Empfehlungen dazu finden Sie hier.
Quellen:
- Global Initiative for Chronic Obstructive Lung Disease (GOLD): Global strategy for the diagnosis, management, and prevention of COPD. Revised 2015. www.goldcopd.org
- Kirsten AM et al. Bronchodilatatorische Therapie der COPD. Dtsch med Wochenschr 2014;139(06):264-7.
- Hoc S. COPD-Therapie: Tiotropium verbessert die Lungenfunktion. Dtsch Arztebl 2002; 99(37): A-2435.
- Vogelmeier C et al.Tiotropium versus Salmeterol for the Prevention of Exacerbations of COPD. N Engl J Med 2011; 364:1093-103.
- Corhay JL, Louis R. Rev Med Liege 2009;64(1):52-7.
- Bas H. Asthma und COPD: Was muss besser werden? Der Allgemeinarzt 2013;35(2):38-41.
- Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG): Tiotropium hat Vorteile für Patientinnen und Patienten mit COPD. Pressemitteilung v. 22.08.2012. www.iqwig.de
- Braunwarth A. Tiotropium gegen Asthma. Medical Tribune 2015. www.medical-tribune.de (Zugriff am 04.03.2016)
- Proskocil BJ, Fryer AD. Beta2-agonist and anticholinergic drugs in the treatment of lung disease. Proc Am Thorac Soc 2005;2:305–10; discussion 11–2.
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- www.mediakademie.de (Zugriff am 04.03.2016)
- Bas H. Tiotropium bei schwer kontrollierbarem Asthma bronchiale. Ars Medici 2013;3:170-1.