Bei dissoziativen Störungen geht die Einheit von psychischen und körperlichen Funktionen, die unser Gehirn normalerweise ganz selbstverständlich integriert und abspeichert, verloren. Es kommt zu einer Abspaltung (lat. dissociare "trennen, scheiden") von Inhalten des Bewusstseins.
Selbstschutz des Gehirns
Das Phänomen der Dissoziation ist ein hoch komplexer psychischer Vorgang, der häufig auf einem vorausgegangenen Trauma beruht und im Grunde einen Schutzmechanismus darstellt.
Normalerweise gelangen die Erlebnisse und Sinneseindrücke, die wir machen, über sog. basale Hirnregionen ins übergeordnete Großhirn, wo sie uns ins Bewusstsein treten und im Gedächtnis abgelegt werden. Bei einem traumatischen Erlebnis kommen nicht alle diese Erfahrungen dorthin, werden also nicht vollständig aufgenommen, sondern abgespalten. In die tiefen, unbewussten Hirnregionen gelangen sie jedoch immer.
Von hier aus können sie durch bestimmte Reize wieder aktiviert werden, ohne dass der Betroffene sich darüber jedoch im Klaren ist. Er erlebt dann unter Umständen eine ausgeprägte Angst und Anspannung, verbunden mit starken körperlichen Symptomen, die er aber nicht zuordnen kann. Der Bezug zum erfahrenen Trauma wird nicht hergestellt. Das Fühlen und Empfinden einerseits und das bewusste Denken sowie Sprechen darüber andererseits fallen also gewissermaßen auseinander.
Von Gedächtnislücken bis hin zu Krampfanfällen
Die abgekoppelten Inhalte können Erinnerungen und Empfindungen, aber auch Körperbewegungen oder das Bewusstsein der eigenen Identität sein. Das kann zu Störungen von motorischen Funktionen sowie der Selbst- und Umweltwahrnehmung führen.
Dissoziative Phänomene können daher sehr vielfältig sein. Sie reichen von Gedächtnisstörungen bzw. Erinnerungslücken über Bewegungsstörungen wie Koordinationsprobleme oder Lähmungserscheinungen bis hin dissoziativen Trancezuständen. Es kann sogar zu Krampfanfällen kommen, die einem epileptischen Anfall ähneln können.
Fremdheit der eigenen Person oder der Umwelt
Auch bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung steht die kognitive Störung häufig mit anhaltenden traumatischen Erlebnissen in Zusammenhang. Als Reaktion und möglicherweise Selbstschutz findet ein Abgleiten in eine Traum- oder Fantasiewelt statt. Bestimmte belastende Erlebnisse, Gefühle oder Bilder werden abgespalten.
Folge ist eine veränderte Wahrnehmung der Realität und der eigenen Person. Betroffene berichten zum Beispiel, "weggetreten zu sein", "nicht sie selbst zu sein", "neben sich zu stehen" u.a.
Bei der Borderline-Störung auftretende Erscheinungsformen der Dissoziation sind beispielsweise:
- Derealisation: Gefühl, den Kontakt zur Realität verloren zu haben. Die Umwelt wird als fremd und unwirklich wahrgenommen.
- Depersonalisation: Gefühl, den Kontakt zur eigenen Persönlichkeit oder dem Körper bzw. Anteilen davon verloren zu haben. Man ist sich selbst ganz fremd, hat vielleicht auch das Gefühl, der Körper gehöre gar nicht zu einem selbst.
- Dissoziative Amnesie: Erinnerungslücken für verschiedene Ereignisse oder Lebensphasen.
Dissoziation ist keine Einbildung!
Wichtig: Dissoziation hat nichts mit Simulation zu tun. Zwar verstärken sie die Symptome, wenn man sich den Betroffenen zuwendet und ihnen Aufmerksamkeit schenkt. Man nennt das auch "sekundären Krankheitsgewinn". Das ist ihnen jedoch nicht bewusst, sondern spielt sich automatisch ab.
Bei der Therapie wird ganz konkret an den jeweiligen Symptomen gearbeitet und beispielsweise bestimmte Bewegungen trainiert. Außerdem wird vorsichtig und behutsam versucht, die Hintergründe für die dissoziativen Zustände aufzudecken und die verlorenen Inhalten bewusst zu machen.